Ägyptens versunkene Schätze
Ägyptens versunkene Schätze

 

Bis zum 27. Januar 2008 zeigt die Kunsthalle Bonn 500 der von Franck Goddio ertauchten Fundstücke

 

Ein Taucher betrachtet die kolossale Statue des Gottes Hapi (Gott der Nilflut und Fruchtbarkeit), die nahe des Tempels der versunkenen Stadt Heraklion gefunden wurde. Sie stammt aus dem 4. - 3. Jahrhundert v. Chr. und ist mit 5,40 m Höhe (inkl. Sockel) die größte freistehende Statue eines ägyptischen Gottes, die je entdeckt wurde.
(Foto: F. Goddio)

Alexander der Große war tot. Er hatte den Bosporus überquert und in einer symbolischen Geste schon aus dem Fährboot seinen Speer in asiatischen Boden geschleudert. Er hatte Persien erobert, Persepolis gebrandschatzt, sich vom Orakel der Oase Siwa als ägyptischer Pharao ″bestätigen“ lassen, seine Stadt Alexandria gegründet, seinen beispiellosen Eroberungszug bis zum Indus fortgesetzt, sich zum ″König von Asien“ proklamieren lassen und war 323 vor unserer Zeitrechnung in Babylon gestorben. Sein langer und langsamer Leichenzug bewegte sich in Richtung seiner Heimat Griechenland. Als er das Mittelmeer erreichte, schwenkte der ihn anführende General Ptolemaios plötzlich nicht nach Norden, sondern gen Süden.
        Der große Tote wurde nach Ägypten gebracht und (höchstwahrscheinlich) in Alexandria bestattet. Das Grab wurde nie gefunden. Von siebzig Stadtgründungen ''Alexandria'' behielt diese als einzige ihren Namen.  

Sarapis

Sarapis, auf ägyptisch “Osiris-Apis“, wurde in Alexandria zum Fruchtbarkeits-, Unterwelts-, Meeres- und Heilgott, dargestellt als bärtiger Mann mit einem Getreidemaß auf dem Kopf (Marmor, 2. Jh. v. Chr., 59 cm hoch). (Foto: KGM)
        ″Alex“, wie es Ägypter liebevoll nennen, wurde die erste kosmopolitische Metropole der Welt, der ″Knotenpunkt der Erde“, beleuchtet vom 130 m hohen Leuchtturm Pharos (eins der sieben Weltwunder, benannt nach der Insel, auf der er stand), erleuchtet von der berühmten Bibliothek mit 700.000 Schriftrollen aus Papyrus, dem gesamten Wissen der Antike aus ägyptischen, griechischen, römischen Quellen. Später brachten auch byzantinische und arabische Besatzer ihren Einfluss in diesen Schmelztiegel der Kulturen ein. Die Universität genoss ebenfalls Weltruhm. Im Hafen fanden über tausend Schiffe Platz. Auch Kamelkarawanen brachten Schätze ferner Länder. In dem Königsviertel mit prächtigen Gebäuden, Parks, Kolonnaden – einem Drittel der Stadt – trafen sich die Reichen und Schönen der Zeit. Königin Cleopatra VII begegnete Diktator Julius Cäsar, später auch Marc Antonius. Handel, Wissenschaft, Kunst, diverse Religionen blühten. Aber vor tausend Jahren beendeten Erdbeben, Absinken des Festlandes und Anstieg des Meeresspiegels die ganze Pracht. Der Königsbezirk und die in der Nähe gelegenen bedeutenden Städte Thonis-Herakleion und Kanopus verschwanden im Meer.
        Ein Tourist sah um 1961 beim Tauchen eine große Statue auf dem Meeresgrund. 1984 nahm der passionierte französische Unterwasserarchäologe Franck Goddio an der Erforschung eines Schiffes teil, das 1798 in der berühmten, von Napoleon verlorenen Seeschlacht von Abukir versenkt worden war. In den vergangenen 20 Jahren entdeckte Goddio mehr als 14 historisch wertvolle Schiffe, die Jahrhunderte lang unentdeckt auf dem Meeresgrund gelegen hatten. Dazu gehörten u. a. chinesische Dschunken aus dem 11. bis 15. Jahrhundert, die spanische Galeone San Diego und die L’Orient sowie das Flaggschiff Napoleon Bonapartes. Zudem fand er sagenumwobene Orte wie den antiken Hafen von Alexandria, Teile des Königsviertels sowie die verloren geglaubten Städte Thonis-Herakleion und Kanopus in der Bucht von Abukir. Es ist ein einzigartiges Unterfangen der Unterwasser-Forschung und die Funde sind überwältigend! Mit modernsten technischen Methoden wurden monumentale Statuen, alte Münzen, erlesener Gold- und Edelsteinschmuck, ein Ehering, Kultgeräte, Alltagsgegenstände, Keramiken, das offizielle Siegel eines frühen Klosters, Kreuze usw. geortet, an Land gebracht und wissenschaftlich ausgewertet. 500 dieser Schätze sind nun in einer Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn zu bewundern.
        Spektakulär schon durch ihre Größe von 5 m sind die Kolossalstatuen eines Herrscherpaares in rosa Granit aus der ptolemäischen Zeit. Der König trägt die Doppelkrone mit der Uräus-Schlange, Zeichen für die Vereinigung beider Landesteile Ober- und Unterägypten, den traditionellen Lendenschurz, in der rechten Faust jenen rätselhaften kleinen Stab, mit dem so viele wichtige Männer dieser Welt sich geschmückt haben. Seine Gattin trägt ein enganliegendes, plissiertes, durchsichtiges Kleid und die Krone der Hathor, der Göttin der Liebe, der Musik, des Tanzes. Es ist eine Sonnenscheibe zwischen zwei Kuhhörner. Perfekte Schönheit!
        Der älteste und wichtigste ägyptische Mythos, der auch am tiefsten im Volk verankert ist, erzählt von Isis und Osiris, dem idealen Gottkönigspaar. Der böse, eifersüchtige Seth tötete seinen Bruder Osiris und zerstückelte den Körper in 14, nach einer anderen Lesart 39 Teile. Jedes vergrub er in einer der 39 (heute 42) Provinzen des Landes. Die "Juwelen der Familie", wie die Franzosen das nennen, verschlang ein Fisch. Isis wanderte durch das gesamte Reich, sammelte die Körperteile wieder ein und brachte sie zu Anubis, dem Schakalgott. (Eigentlich frisst der Schakal ja Leichen, aber man wollte ihn mit der Ernennung zum Gott der Mumifizierung wohl davon abbringen.) Der band die Körperteile mit einem Baumwolltuch zusammen. Hier liegt der Ursprung des Einwickelns von Mumien als Zeichen der Wiedergeburt. Als Göttin hatte Isis Flügel. Sie breitete diese aus und fächelte Osiris damit den Hauch des Lebens zu. Osiris erwachte, zeugte mit Isis den zukünftigen Sohn Horus und verschied nach wenigen Sekunden. Horus wuchs heran und rächte seinen Vater indem er Seth tötete. Seth wurde Gott der Unterwelt. Um Isis und Osiris entwickelte sich ein religiöser Kult, der sich bis nach Rom ausbreitete. Dieser Kult wurde noch bis Mitte des 6. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung auf der heiligen Nil-Insel Philae beim ersten Katarakt (Assuan) zelebriert. Der griechische Historiker Herodot schrieb, dass nach einer alten ägyptischen Legende der Nil aus den Tränen der Isis entstand, die sie um ihren geliebten Osiris weinte. Daher war auch die Suche nach den Nil-Quellen im alten Ägypten bei Strafe der Götter verboten. Entsprechend der Wichtigkeit des Isis-und-Osiris-Kults sind auch in der Ausstellung zahlreiche Darstellungen dieser idealen Herrscher zu sehen. Zum Beispiele mehrere Bronze-Statuetten des Osiris von hoher technischer und künstlerischer Perfektion aus der Spätzeit der ptolemäischen Epoche. Sie erinnern auch daran, dass Osiris das Hochwasser herbei rief (Höhe zwischen 8 und 21 cm). Der Pharao als Mumie hält die üblichen Herrscher-Attribute Zepter und Peitsche. Die Isis lactans ist u. a. in Form mehrerer Statuetten vertreten (gleichfalls Bronze aus der selben Zeit, 10-18 cm hoch). Der Prototyp der Jungfrau Maria mit dem Kind.
        Eins der wichtigsten Ausstellungsstücke ist der „Naos der Dekaden“, auf dem einer der ersten bekannten astrologischen Kalender dargestellt ist. Ein Fragment dieses einzigartigen Monuments wurde bereits im 19. Jahrhundert in der Bucht von Abukir entdeckt und war seither im Pariser Louvre ausgestellt. Zusammen mit Goddios Funden und einer Leihgabe aus dem Griechisch-Römischen Museum von Alexandria wird der Naos in Bonn nun wieder fast vollständig präsentiert.
        Zahlreich sind die Darstellungen von Pharaonen und ihren Gattinnen. Dabei wurden häufig Sphingen gewählt, diese Fabelwesen mit Löwenleib und Menschenkopf. Das Tier bedeutet höchste körperliche Kraft, der Kopf – meist der des Pharaos – menschliche Intelligenz. Die Ausstellung zeigt eine Anzahl von ihnen.
        Eine Schönheitskönigin ist die Statue einer Königin aus schwarzem Granit, leider ohne Kopf, Füße und Hände. Eine Zuordnung ist daher nicht möglich. Der makellose Körper ist bekleidet mit einer durchsichtigen Stola. (3. Jh. v. Chr., 150 cm hoch.)
        Unter den zahlreichen überaus dekorativen Münzen und Schmuckstücken fällt ein goldener Ring aus byzantinischer Zeit auf. Er trägt ein Öllämpchen als Aufsatz, ungewöhnlicherweise mit Öffnungen für zwei Dochte. Der Reif ist mit einer wellenartigen Ranke versehen. Diese Art der Dekoration ist bislang unter den byzantinischen Fingerringen einzigartig. (6. - 8. Jh. n. Chr., 3,8 x 1,7 cm.)
        Hochseematrosen gehörten berufsbedingt zu den unmoralischsten, gläubigsten und abergläubischsten Menschen. Von ihnen sind Votivanker überliefert, meist aus Kalkstein um 10 cm hoch. Sie bezeugen die Bitte oder den Dank für den guten Abschluss einer gefährlichen Reise. Die ausgestellten Stücke – in der einfachen Form eines in die Länge gezogenen, abgeflachten Kegels mit Löchern für das Tauwerk – stammen aus dem 6.-2. Jh. v. Chr. Es sei angemerkt, dass Steinanker auf felsigem und sandigem Boden nur durch ihr Gewicht wirkten. Auf dem Nil waren sie nicht zu gebrauchen. Denn sie wären im Schlamm eingesunken, der sich nicht wieder freigegeben hätte.
        Apropos Aberglaube: Ein Steatit-Amulett fällt ins Auge, in dessen rechteckiger Platte eine kniende Figur eingeritzt ist, über deren erhobenen Armen eine Sonnenscheibe steht (1,4 x 1,0 x 0,6 cm, gleichfalls 6.-2. Jh. v. Chr.). Steatit ist ein weicher Stein, der sich leicht schneiden lässt, aber wesentlich härter wird, sobald er gebrannt und glasiert ist. Das macht ihn bis heute beliebt für kleine Schnitzereien.
        Erotische Figuren zeigen in Ägypten häufig viel Fantasie. Hier sieht man die Kalksteinfigur einer schwangeren Frau, auf deren Schulter ein Kind oder Zwerg mit erigiertem Penis sitzt (Ptolemäische Zeit, Höhe 15 cm).
        Fast alle Stücke haben tausend Jahre unberührt und von der Menschheit unerkannt auf dem Meeresgrund geruht.
Die Ausstellung dauert bis zum 27. Januar 2008.

Cäsarion   Kolossalporträt Caesarions (Granit, 1. Jh. v. Chr., 80 cm).
In diesem Sohn Kleopatras VII. und Julius Cäsars mischte sich das Blut der Griechen und der Römer. Er wurde nach der Selbsttötung Kleopatras ermordet.
Der Kopf gehörte zu einer wohl etwa 5 Meter großen Statue.
(Foto: KGM)

Klaus G. Müller, 2007