Ankor - göttliches Erbe Kambodschas
Buddha
Der Buddha auf dem Schlangenthron,
Sandstein, 11. Jh., H. 128 cm,
Nationalmuseum Kambodscha,
Phnom Penh. (Foto: KGM)
  Grandiose Khmer-Ausstellung in Bonn, Berlin und Zürich

"Die Kambodschaner säen den Reis, die Vietnamesen ernten ihn, die Laoten schauen zu, wie er wächst". So lautet ein recht passendes Gleichnis für die Mentalitäten der drei Völker in der ehemaligen französischen Kolonie Indochina. In diesem Namen klingt der große Gegensatz an, der in dem Gebiet kontrapunktisch wie Yin und Yang schwingt – der indische: spirituell, spekulativ religiös, weltabgewandt, und der chinesische: materialistisch, erzpragmatisch, diesseitig.
        Große Teile der drei südostasiatischen Länder und auch Thailands gehörten einst zum mächtigen und glänzenden Königreich der Khmer, das seine Blüte vom 9. bis 13. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erlebte. Seine Hauptstadt war Angkor, das wohl größer war als jede andere Stadt jener Zeit. Die Khmer waren reich durch Handel bis nach China und Indien sowie durch aufwendige Landwirtschaft. Ihr ausgeklügeltes Bewässerungs-system ermöglichte bis zu drei Reisernten jährlich. Hunderte von Tempeln wurden in der Umgebung Angkors gebaut. Der prächtigste war Angkor Wat. Er ist der größte Sakralbau der Welt. Selbst in den finstersten Tagen des gequälten Landes Kambodscha wurde er wie auf eine geheime Verabredung von allen Bürgerkriegsparteien, sogar den barbarischen Roten Khmer des Pol Pot verschont. Ein Angriff hätte das ganze Volk des Zeichens seiner religiösen Identität beraubt.
        Das Museum Rietberg Zürich zeigt im Anschluss an die Kunst- und Ausstellungshalle Bonn und den Martin-Gropius-Bau Berlin Leihgaben aus zehn asiatischen und europäischen Museen, die einen Einblick in die Khmer-Kultur am Mekong geben. Viele davon sind religiöse Kunst, geprägt vom Buddhismus und Brahmanismus Indiens. Unvergesslich sind eine ganze Reihe von Stein- und Bronzestatuen von Buddhas und Bodhisattvas voller Eleganz und Schlichtheit aus der Vor-Angkor-Zeit – die edelsten aus dem 7. Jahrhundert. Den Übergang zur Angkor-Epoche zeigt ein Bodhisattva Maitreya, Buddha der Zukunft. (Bronze, 9.-10. Jh, Höhe 75 cm). Seine acht Arme deuten Macht an. Die eingelegten Augen scheinen dem Betrachter zu folgen. Wie alle Bodhisattvas verzichtet er auf seine eigene Erleuchtung, bis alle Wesen erlöst sind. Es ist bereit zum Aufbruch, denn er wird bald kommen ... schon in 5.670 Millionen Jahren.
        Ein Stier Nandi, das Reittier des Gottes Siva, prägt sich wegen seines geradezu menschlichen Blicks ein (Sandstein, 7. Jh., Höhe 53 cm). Natürlich darf auch der beliebte Ganesa mit dem Kopf eines Elefanten nicht fehlen, der Sohn Sivas und dessen Gattin Parvati. Er ist der Gott der Weisheit und Beseitiger aller Hindernisse, besonders beim Reisen. Die Legende erzählt uns: Als Siva nach einem langen Kriegszug nach Hause kam, sah er Parvati mit einem Jüngling im Bad und enthauptete diesen. Auch Götter sind eifersüchtig. Der Jüngling war sein während seiner Abwesenheit herangewachsener Sohn Ganesa. Siva versprach der verzweifelten Parvati, den ersten Vorübergehenden mit seinem Schwert zu köpfen und Ganesa den Kopf aufzusetzen. Das war ein Elefant, Symbol der Klugheit und Geduld. Siva hielt Wort. Als Ganesa groß war, riss er sich einen Zahn aus und warf ihn nach dem Mond, der ihn zu verspotten schien. Dann benutzte er den Zahn als Griffel und schrieb damit das große indische Epos Mahabharata. (Statue aus Sandstein, 7./8. Jh., 76 cm). Aus dem frühen 13. Jh. stammt ein bronzener, vierarmiger Ganesa von nur 27 cm Höhe. Quer über dem Oberkörper liegt eine Brahmanen-Schnur in Form einer Schlange. Sie weist ihn als Initiierten der höchsten Kaste aus. Die Eigenart der Schlange, sich zu häuten steht für eine Neugeburt und somit für die Zweitgeburt durch die Erhebung zum Brahmanen.
        Ein anderer Sohn Sivas wurde in der gleichen Epoche in Sandstein abgebildet: Skanda auf seinem Reittier Pfau, dessen Hals er mit der linken Hand fest umschlungen hält. Seine Füße ruhen auf den Krallen des Vogels. Skanda war der Anführer des göttlichen Heeres. Das Rundrelief ist 72 cm hoch.
        Eben so oft wie Ganesa wurde Laksmi um Hilfe angefleht, die Göttin des Reichtums. Eine besonders anmutige und elegante Sandstein-Skulptur von über 100 cm Größe aus dem 11. Jh. zeigt sie mit fein geschnittener Nase, vollen Lippen, Kinngrübchen. In den tief liegenden Augen waren einst Edelsteine eingelegt. Leichte Hals- und Bauchfalten deuten – wie im alten Ägypten – Wohlleben an, sind also Glückssymbole. Der plissierte Rock ist – wie ein moderner Pareo – verführerisch unterhalb des Nabels geknotet. Eine andere, ein Jahrhundert jüngere Sandstein-Laksmi von 73 cm Höhe ist erdnäher, robuster, zeigt aber durch ihre prägnanten Züge und großen, etwas starren Augen große Würde.
        In der Mitte des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung brachten die nach Nordindien einwandernden indogermanischen Arier ihre Götter Brahma, den Schöpfer, Siva, den Zerstörer (richtiger: Erneuerer), Visnu, den Erhalter (= die hinduistische Dreifaltigkeit Trimurti) und zahllose andere Gottheiten nebst Familienmitgliedern und jeweiligen Reinkarnationen mit. Im indischen Himmel ist für viele Götter Platz. Insgesamt sollen es um 330 Millionen sein. Hindus legen aber meist Wert auf die Feststellung, dass alle ihre Götter nur verschiedene Ausdrucksformen einer einzigen kosmischen Weltenseele sind, namenlos und substanzlos, die sie als Monotheisten verehren. Es ist das Absolute, das All-Brahman. Mit anderen Worten: Es gibt nur einen Gott; aber er hat viele Erscheinungsformen. Wie dem auch sei, die Darstellung des Harihara, der Siva in seiner rechter Körperhälfte mit Visnu in der linken vereint, ist recht ungewöhnlich. Die Ausstellung zeigt u. a. zwei Statuen aus dem 8.-9. Jh. in Sandstein, 47 bzw. 100 cm hoch. Die frühere Variante unterscheidet die beiden Götterhälften besonders klar in den verschiedenen persönlichen Attributen und dem halben dritten Auge auf der Stirn Sivas. Es gewährt spirituellen Einblick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
        Auch aus späteren Jahrhunderten sind zahlreiche Darstellungen von Siva und anderen Gottheiten, Buddhas und Bodhisattvas, Lingams (Phalli), Adoranten (Betenden), Dämonen, Königen, Stupas ausgestellt. Eine besonders sorgfältig gearbeitete Bronze stellt Gott Visnu breitbeinig auf den Schultern seines Reittiers Garuda dar, das im Laufschritt mit erhobenen Armen und Flügeln vorwärts stürmt. Garuda ist ein mythischer Sonnenvogel, halb Mensch, halb Tier. (12. Jh., Höhe 16 cm.) Es mag eine Votivgabe für einen Tempel gewesen sein.
        Zwei Sandstein-Buddhas haben mich fast nicht losgelassen. Der Erleuchtete sitzt in Meditationshaltung, also mit gekreuzten Beinen und im Schoß übereinander gelegten, nach oben geöffneten Händen, auf einem Thron gewundener Schlangenleiber. Sieben zusammengefügte Schlangenköpfe bilden eine ihn überragende Haube. Die eigentlich gefährlichen Tiere üben hier eine Schutzfunktion aus, da Buddha sie durch seine geistige Kraft und seinen inneren Frieden im Zaum hält und sogar veranlasst, ihn zu beschirmen. Beide Statuen – eine mit geöffneten Augen, 11. Jh., 116 cm hoch, eine mit geschlossenen, 12. Jh., 87 cm, – strahlen eine große Eleganz, hohe Disziplin, magische Kraft aus, Weisheit und Mitgefühl.
        Darstellungen nebst Erläuterungen sowie architektonische Elemente bringen dem Betrachter besonders Angkor Wat als Wiedergabe des Berges Meru, der Weltachse nahe. Die charakteristischen, alle anderen überragenden fünf Türme zieren die offizielle Landesflagge.
Neben Gebäudenachbildungen sieht man eine vielfältige Sammlung von Ritualgefäßen, Blitzbündeln, Lampen, Kerzenhaltern, Metallspiegeln und Spiegelhaltern, Trommeln, Glocken und sonstigen Objekten der Religion und auch des Alltags. Eine Interessante Bronzestatue zeigt den Gott Hewajra mit acht verschiedenen Köpfen des buddhistischen Kosmos und sechzehn Armen in einer Tanzhaltung, die an den kosmischen Tanz des Siva Nataraja erinnert, auf einer doppelten sich öffnenden Lotusblume. Angkor Wat
Angkor Wat (Foto: H. Faulhaber)
Diese ist ein Hauptsymbol des Buddhismus wie auch des Hinduismus: Die Blüte, die im Schmutz des Tümpels wurzelt und sich doch rein und schön dem Licht der Sonne öffnet, genau wie die klare und gute Religion aus der unreinen und sündigen Welt wächst.
        Reich an Einzelheiten sind zwei Bronze-Model, also Negativ-Formen von 22 und 9 cm für Votiv-Plaketten. Damit wurden serienmäßig die kleinen Tonbildnisse von Buddhas, Bodhisattvas, diversen Gottheiten, Tempeln usw. geformt, die dann – oft gebrannt – als Erinnerungen an eine Pilgerreise, als Meditationshilfen oder als Votivgaben dienten. Sie wurden in großer Zahl in Tempeln aufgestellt und erlaubten dadurch auch ärmeren Buddhisten, religiöses Verdienst zu erwerben und damit ihr Karma zu verbessern, also die Chance, nach der nächsten Wiedergeburt ihrer Seele in einem neuen Körper eine höhere Daseinsform zu erlangen.
        Dagegen wurden die ausgestellten Gemälde mit Temperafarben auf Leinwand aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts für Wohlhabendere gemalt. Sie zeigen ausgewählte Szenen aus dem Versepos Reamker, der Khmer-Variante des großen indischen Heldengedichts Ramayana. Auch hier finden wir Hanuman, einen weißen Affengeneral mit Zauberkräften, der mit seinem Affenheer dem guten Prinzen Preah Ream (Rama im Ramayana) hilft, seine vom Dämonenfürst nach Lanka entführte schöne Gattin zu befreien. Besonders munter wird der große Spaßmacher in einer Tanzpose dargestellt (Holz bunt bemalt, 18.-19. Jh., 78 cm hoch). Er machte sich riesengroß und legte sich über den Ozean zwischen Lanka und Indien, sodass ihn alle überschreiten konnten. An anderer Stelle bildete seine ganze Affenarmee eine kettenförmige menschliche Brücke über die Meerenge.
        Eine in mehreren südasiatischen Ländern beliebte Kunst sind Manuskripte auf Palmblättern. Schrift und Zeichnungen werden meisterlich mit einem Stichel eingeritzt und dann mit einem in schwarzes Öl getauchten Lappen eingerieben. Während der Schreiber die Zeichen einritzt, kann er das Ergebnis nicht sehen. Beispiele dieser hohen Kunst und ein exquisit gearbeiteter Aufbewahrungsschrank für solche Manuskripte in Lack mit Golddekor erinnern an die wertvollen kulturgeschichtlichen Dokumente, die meist in Klöstern aufbewahrt wurden und fast vollständig bei den Bombardierungen durch die amerikanischen Streitkräfte und die anschließenden systematischen Zerstörungen durch die Roten Khmer vernichtet wurden.
Apsaras
Apsaras im Angkor Wat, 2. Ebene, NW-Galerie, 12. Jh. (Foto: M. Werner)
        Zu den künstlerischen Höhepunkten der Khmer-Kunst gehören die unendlichen Flachreliefs, die fast das ganze Götter- und Menschenleben umgreifen, von der Erschaffung der Welt durch Quirlen des Ur-Milch-Ozeans unter Mitwirkung Sivas über den ewigen Kampf zwischen Göttern und Dämonen – also zwischen Gut und Böse in der Welt – bis zu den bezaubernden Apsaras, den himmlischen Tänzerinnen, die über das Wasser wandeln. Allein die Meisterwerke in den Galerien des Tempels von Angkor Wat bedecken eine Fläche von 544 m Länge mal zwei m Höhe. Zur Zeit meines letzten Besuchs wurden sie mittels Slit-Scan-Verfahrens von Prof. J. Poncar von der  Fachhochschule Köln  und  seinen
Mitarbeitern mittels einer auf Schienen rollenden Spezialkamera ohne Bildtrennung auf einem langen Negativ abfotografiert. Die Aufnahme wurde inzwischen zum größten einteiligen Foto der Welt verarbeitet. Ein kleiner Ausschnitt davon ist auch in der Ausstellung zu sehen. Eine Vorstellung des gesamten Film-Panoramas würde gewiss großes Interesse finden.
        Die Ausstellung ist von der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn über den Martin-Gropius-Bau Berlin ins Museum Rietberg Zürich gewandert und dort vom 19. August bis 2. Dezember 2007 zu bewundern.
Klaus G. Müller, 2007