ASIATISCHE MINIATUREN
Peshawar

 

 

 

 

"Besuchen Sie Pakistan, bevor
die Touristen kommen!"

steht auf einem Plakat in Peshawar

und um die Ecke ist "Khyber-Pass", ein Traveller-Hotelchen. Wir sitzen zu einem Dutzend Rucksack-Reisenden an einem Tisch in der Halle. Unvermittelt schimpft ein Engländer überheblich los: "Du bist hier nur ein Tee-Junge. Nimm Dir nicht zuviel heraus!" Der Kellner zieht sich zurück. Keiner weiß, warum die beiden gestritten haben. Fünf Minuten später steht der Eigentümer vor dem Engländer: "Sie haben Schwierigkeiten mit meinem Angestellten. Wann können Sie das Hotel verlassen?" - "Naja, morgen früh so gegen neun," kommt die erstaunte Antwort. "Nein, jetzt, heute abend. Wann?" - "Wieso? Ich habe doch schon für die Nacht bezahlt." - "Das macht nichts. Hier ist das Geld zurück." - Eine Viertelstunde später verläßt der Engländer kleinlaut das Haus. Es ist elf Uhr abends. Keine Aussicht, daß der Hotel-Eigentümer sein Zimmer noch an jemand anderen vermietet. Aber der Schutz der Ehre seines Angestellten ist ihm den Preis wert. Stolze Leute, diese Pathanen (Paschtunen), finden wir Zurückgebliebenen.

        Am nächsten Tag Fahrt zum Khyber-Pass, vorbei an den Lagern afghanischer Flüchtlinge. Bevor die Straße ansteigt, eine Barriere. Hier beginnt die "tribal area", das Stammesgebiet. Es gehört offiziell zum pakistanischen Staatsgebiet, aber kein pakistanischer Polizist darf sich hineinwagen. Lastwagen fahren durch die Schranke. Sie wurden im Hafen von Karatschi mit Fernsehern, Videogeräten, Fotoapparaten, Computern und anderer Elektronik beladen und plombiert, da die Papiere lauten "für Afghanistan". Sobald die Barriere durchfahren ist, werden die Plomben entfernt und die Waren in riesige Warenhäuser entladen, dem Einkaufsparadies für die weitere Umgebung von Peshawar. An der Straße liegen die Paläste, nein: Burgen, der reichsten Leute der Gegend.

        Hinauf geht's auf den 1000 m hohen Paß. 200 m neben der modernen Asphaltstraße verläuft der alte Pfad, über den im Lauf der Geschichte alle Großen dieser Welt ins Land gekommen sind, von Alexander dem Großen bis zu den Engländern des 19. Jahrhunderts. Die Sechstausender des Hindukusch liegen im Blickfeld. Der "Hindu-Töter" brachte mit seinem rauhen Gebirgsklima die Hindus zu Tausenden um, die hierher verschleppt wurden oder mit Handelskarawanen durchzogen. Vom Paß aus werfe ich einen langen, sehnsuchtsvollen Blick in die Berge Afghanistans und bedauere, daß ich das Land nie in seinen guten Jahren besucht habe.

        Zurück hinter der Schranke, schlendere ich durch Gruppen von Pathanen, die ihre Geräte in den Supermärkten gekauft haben und jetzt - auf dem Boden kauernd - Fleischspieße grillen. Bald werde ich eingeladen. Leckeres Hammelfleisch! Natürlich will niemand anschließend die angebotene Kostenbeteiligung annehmen. Also kaufe ich für die Runde ein paar Kilo Orangen zum Nachtisch. Anschließend steige ich mit einem meiner neuen Freunde, der im Gebirge Richtung Karakorum wohnt, in einen Bus nach Peschawar. Der vordere Teil ist abgeteilt für Frauen. Da keine mitfahren, setzten wir uns dorthin. Nach ein paar Stationen steigen zwei Frauen ein. Ein paar Männer räumen ihnen eine Sitzbank und gehen nach hinten. Ich will mich ihnen anschließen, aber mein Begleiter findet, daß er mir von vorn aus besser die Aussicht erklären kann. Also bleiben wir zu einem halben Dutzend Männern vorn. Plötzlich springt mein neuer Freund auf, stürzt sich auf einen jungen Mann im Durchgang und boxt auf ihn ein. Der andere zieht sich - Blut und Zähne spuckend - in den hinteren Teil des Busses zurück. Ich frage entsetzt, was los sei. "Der Mann hat Sie beleidigt!" - "Aber wieso? Ich habe doch noch nicht mal etwas verstanden." - "Das macht nichts. Er hat gefragt, wieso ein Ausländer in der Nähe unserer Frauen sitzt und sie damit entehre."

        Abends las ich nochmal in meinen Reisenotizen: "Für einen Pathanen ist es ein beleidigender Annährungsversuch an seine Frau, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, sie bei der Arbeit zu beobachten, in ihrer Hörweite zu singen, sich vor ihr die Haare zu kämmen, sie gar zu fotografieren. Er wird darauf mit einer heftigen Zurechtweisung antworten, wenn man Glück hat, sonst mit einer Kugel..."

        Noch ein Tagesausflug in Stammesgebiet, diesmal nach Darra, der Waffenstadt. Im vorletzten Jahrhundert beantragte die Stadtverwaltung bei den englischen Kolonialherren, Waffenhandel entweder auf der Basis von Importen oder aufgrund eigener Fabrikation zuzulassen. Die Engländer sagten sich, daß es weniger gefährlich sei, den Leuten selbstgebastelte Schießeisen zuzugestehen als hochtechnische Importe. Seitdem werden in Darra Waffen höchster Qualität hergestellt und verkauft, in jüngerer Zeit von Kalaschnikofs bis Exozet-Flugzeugraketen. Ein Waffengeschäft ist neben dem anderen. Überall knallt es, weil die Käufer probeschießen. Leben und Sicherheit von Besuchern werden von der Verwaltung nur auf der Hauptstraße garantiert. Ich habe ein langes freundschaftliches Gespräch über Gott und die Welt mit einem Geschäftsinhaber. Er bedauert, daß er mir die Produktion nicht zeigen kann, da Freitag ist, der Tag Allahs.

        Zwar bin ich ein friedlicher Mensch, aber die Versuchung ist groß, als Souvenir eine dieser kleinen Kugelschreiber-Pistolen zu kaufen. Der vordere, spitze Teil wird abgeschraubt und die Kugelschreiber-Miene entfernt. En Schußkanal liegt frei. Der mittlere Teil ist gleichfalls zu öffnen und nimmt eine 3,2-mm-Patrone auf. Der Clip ist ein Abzug, der den Bolzen auslöst. Eine vollwertige Waffe besten Stahls, da zur Herstellung alte Eisenbahnschienen benutzt werden, die durch jahrelanges Befahren von vielen Zügen gehärtet wurden. Der Geschäftsmann besteht darauf, sie mir zu schenken, und mein Gegengeschenk besiegelt eine neue Freundschaft. Aber das ist eine andere lange Geschichte. Jedenfalls gelingt es mir, das Erinnerungsstück - natürlich ohne Patronen - durch die Kontrolle eines Inlandflugs nach Quetta in Belutschistan und ein halbes Dutzend Grenzkontrollen bei der Überland-Rückreise zu bringen. Ausgerechnet in Europa, zudem in einer alten Kulturnation, wurde es mir dann gestohlen - nur zwei Grenzen vor der teuren Heimat.

 

Klaus G. Müller, 2001




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