Die Literatur der Koryo – Zeit

Dr. Hans-Jürgen Zaborowski


Verstärkt hat sich Korea seit der Herstellung der staatlichen Einheit im siebten Jahrhundert den Einflüssen der chinesischen Kultur geöffnet. Sogar traditionelle koreanische Orts- und Personennamen und die Bezeichnungen für Verwaltungseinheiten und Beamtenpositionen wurden aufgegeben und durch chinesische Namen und Begriffe ersetzt.  Zentrum war die Hauptstadt im heutigen Kyongju, das nach dem Vorbild der Hauptstadt der mächtigen chinesischen Tang–Dynastie, damals Ch’ang-an  ,heute Xian umgebaut worden war. Nach der Tang–Hauptstadt war Kyongju zu dieser Zeit die zweitgrößte Stadt der Welt,  in fragmentarisch erhaltene Steuerregister lassen auf eine Einwohnerzahl von ca. 1 Million Menschen schließen. Die Übernahme der chinesischen Kultur führte dazu, dass der koreanische Staat von Zeitgenossen oft als „Kleines Tang – Reich“ bezeichnet wurde.  

 Doch die Blüte einer chinesischen Hochkultur auf der koreanischen Halbinsel war nicht von Dauer. Spätzeitliche Dekadenz führte zum Niedergang auch der politischen Macht. Erst waren es einzelne Banden von Aufständischen, dann ganze Rebellenarmeen, die vom neunten Jahrhundert an das Land unsicher machten. Sie eroberten  schließlich unter der Führung eines Militärs von der Küste des Gelben Meeres die Hauptstadt Kyongju und zwangen den letzten König von Silla zur Abdankung. Neues Machtzentrum wurde die fast am 38 Breitengrad gelegene Stadt Songdo, heute Kaesong, von wo aus die schon 918 ausgerufene Koryo–Dynastie von 936 bis 1392 das ganze  Land regierte. In dieser Zeit ergaben sich in etwa die heutigen Grenzen mit den Flüssen Yalu und Tumen als Grenzflüssen zu China und den nomadischen Völkern in Nordasien.


Die geistige Kultur der Koryo – Zeit

Das geistige Leben blieb auch über die Ablösung Sillas durch Koryo hinaus  vom Buddhismus bestimmt, der einerseits wichtige Anstöße für eine neue Kulturblüte brachte – so wurden zwei Mal alle damals bekannten buddhistischen Texte in Holzdruckplatten geschnitzt, die zweite Fassung aus der Zeit der mongolischen Invasion in Korea wurde 1251 mit rund 82.000 Druckplatten fertiggestellt und ist vollständig bis heute erhalten. Sie wird im Kloster Haein-sa aufbewahrt. Im Zusammenhang mit dem buddhistischen Kultus und Ritus stehen die Celadone, graugrüne Keramiken, deren Schönheit von chinesischen Dichtern besungen wurde. Auf der anderen Seite aber drohte der Buddhismus durch die enge Bindung an das neue Herrscherhaus und an die Machtelite inhaltlich zu erstarren, was zu Reformansätzen führte.

 Die Beziehungen zu China waren belastet durch mehrere Dynastiewechsel dort, vor allem aber durch die Tatsache, dass Teile oder sogar ganz China wiederholt von fremden Völkern, aus chinesischer Sicht Barbaren aus dem Norden und Westen, überrannt und erobert wurden. Dennoch kamen neue Ideen, neue Kulturelemente nach Korea. Am stärksten beeinflußt wurde Korea vom Neu – Konfuzianismus, der in der Sung – Dynastie (960 – 1279) entstanden war. Die Gründung einer Nationale Akademie sorgte für massiver Verbreitung  dieser Ideologie, ihrer Ordnungsvorstellungen, ihrer Gesellschafts- und Staatslehre, die ihre volle Wirkkraft aber erst im Korea des 14. Jahrhunderts und später erreichte.

 Die Werke gelehrter Hofbeamter, gebildeter buddhistische Mönche und auch die offiziellen Geschichtsaufzeichnungen berichten über einheimische Sitten und Gebräuche. Von Provinzbeamten ebenso wie von begabten Poeten wurden Texte der Volksliteratur gesammelt und in Anthologien zusammengestellt. Sie bieten uns ein differenziertes Bild der koreanischen Kultur – trotz offizieller Hinwendung zu, trotz starker Beeinflussung durch China.

Die Literatur der Koryo – Zeit

In den in chinesischer Sprache und Schrift überlieferten Chroniken und in den Werken der Literaten finden sich  zahlreiche Übersetzungen eigentlich koreanischer Texte in die Bildungs- und Verwaltungssprache, die vom großen Nachbarn übernommen worden war und die nun hervorragend beherrscht wurde. Einige Texte von Liedern wurden aber über Jahrhunderte mündlich weitergegeben und nach Schaffung der koreanischen Buchstabenschrift im 15. und 16. Jahrhundert in Sammlungen und Musikhandbüchern aufgezeichnet.  Zu diesen volkstümlichen Texten gehören die Changga   „Langgedichte“ – eine Kettengedicht - Form, deren Einzelteile zusammengehalten sind durch eine wiederkehrenden Refrain, der aus lautmalenden Wörtern, aus Ausrufen besteht. Dieser Refrain kann in der Mitte einer Strophe stehen oder an deren Ende. Die Zahl der Strophen war nicht begrenzt, deshalb der Name „Langgedicht“. Jede Zeile besteht aus drei bis vier Silben- oder Rhythmus – Gruppen mit je zwei bis vier Silben.
 Thema dieser Lieder ist vor allem die Liebe zwischen den Geschlechtern – deshalb haben spätere Herausgeber, die konfuzianisch gestimmt waren, die Texte zwar erhalten, sie aber als „vulgär“ bezeichnet. Manche der Lieder stammen von Frauen, vor allem von Angehörigen des Kisaeng – Standes. Sie sind vielleicht mit den griechischen Hetären vergleichbar, bilden gleichsam deren ostasiatisches Gegenstück. Diese Frauen waren gebildet in allen schönen Künsten, waren, wenn man es so bezeichnen will – emanzipiert. Sie geben ihren Gefühlen lebensvollen Ausdruck. Von einer Kisaeng, deren Namen nicht überliefert ist. Stammt ein wunderschönes Abschiedslied:  Kasiri (Du gehst...):


Gehst du, gehst du, mich
Verläßt du, gehst,
ach du!

Ich, wie soll ich leben, mich
Verläßt du, gehst...
Ach du!

Ich möchte‘ dich fassen, halten, dich.
Bist du mich leid? Kommst nie mehr du zurück?
Ach du!

Geliebter, du, ich lass‘ dich ziehen, doch ich hoff‘
So leicht, wie du gegangen, kommst du auch zurück.
Ach du!

 Eine einfache Sprache bewußt gewählt, immer wieder unterbrochen durch den Klagenden Ausruf „Ach du!“ als Refrain, dem im koreanischen Text noch lautmalende Wörter folgen, die den Klang der begleitenden Musik wiedergeben sollten.

 Bei den gebildeten Angehörigen der Oberschicht dieser Zeit beliebt waren Lieder mit Refrain, die nicht die einfache Volkssprache verwandten, sondern in denen Strophen von vier Zeilen mit einer jeweils festen Anzahl chinesischer Zeichen meist chinesisches Bildungsgut mehr aufzählen als schildern – berühmte Dichter, deren Werke verkürzt zitiert werden, Anspielung auf die Klassiker der chinesischen Tradition fínden sich ebenso wie die Namen und Besonderheiten schöner Landschaften, die in Gedichten und Bildern aus China dargestellt werden.

 In der Prosa - Literatur der Koryo – Zeit  finden sich in den historiographischen Werken neben einer geschichtlichen Kernsubstanz Volksmärchen- und Sagen ebenso wie Heldengeschichten und legenden. Biographien bedeutender Persönlichkeiten sind oft ausgeschmückt mit Erzählungen übermenschlicher Taten. Interessant sind auch in poetologische  Werke, die als Sihwa „Gespräche über Dichtung“ bezeichnet werden, eingestreute Erzählungen und fiktive Biographien, die teils humorvoll, teils sozialkritisch sich mit Fragen und Problemen der Zeit auseinandersetzen. Aber – der Beginn einer eigenständigen Prosa – Literatur im wahren Sinne des Wortes liegt erst im 15. Jahrhundert und damit in einer neuen Dynastie.