Portugal

Foto: Klaus G. Müller

Studentenfest in Portugal
Coimbras Queima das Fitas - Freude und Fado, Wonne und Wein

"Süßer Fado, klagst so traurig
wie das Meer in der Nacht;
und wer dich singt, muß immer weinen."

Zwischen Lissabon und Porto liegt die Silberküste, "Costa de Prata". Ihr Herz schlägt in Coimbra, seit 1290 eine der ältesten Universitätsstädte Europas mit 17.000 Studenten, der geistige Mittelpunkt des Landes. Alljährlich im Mai findet hier zum Ende des Studienjahres ein großes Fest statt: Die "Queima das Fitas", das Verbrennen der Bänder.

 Portugiesische Studenten tragen malerische schwarze Mantelumhänge, "capas" - sehr geeignet, um sie mit dem Arm schützend um die Schulter der Freundin zu legen. Daran werden bunte Bänder befestigt, an deren Farbe sich die Fakultät ablesen läßt. Wenn das Abschlußexamen bestanden ist, werden die Schleifen feierlich verbrannt. Daraus entwickelte sich im Lauf der Jahre ein großes einwöchiges Fest.

 Auftakt ist der Serenadenabend. Schon Stunden vor Beginn sitzen und stehen hunderte von Zuhörern auf den Stufen der ehrwürdigen Kathedrale Sé Velha und dem Platz davor. Wenn zwölf Böllerschüsse zu Mitternacht den Beginn des Festes anzeigen, kann keine Nadel mehr zu Boden fallen - kein Platz für Klaustrophobe.

 Studenten singen Fado für Studenten. Die Lieder kommen aus dem Herzen, aus der tiefsten Seele. Fado, Musik vom "Schicksal" (lat. fatum) ist der typische schwermütige Gesang dieses melancholischen Landes. Er handelt von "saudade", dem Weltschmerz, einer ewigen unbestimmten Sehnsucht nach irgendetwas Unbeschreiblichem, nach der Ferne oder mehr noch - wenn man fern ist - nach der Heimat, von unglücklicher Liebe, Trennung, Tod, Trauer, von dem verlorenen Weltreich, von den Seeleuten, die aufs Meer hinausfahren und nie zurückkehren, von den Frauen, die an allem schuld sind.

 Den getragenen Rythmus verdankt der Fado wohl den Arabern, die Schwermut und unbestimmte Sehnsucht vermutlich den Seeleuten auf ihren entbehrungsreichen, langen Seereisen mit ungewissem Ausgang und der Sorge ihrer Frauen, die sie erwarteten "in einem portugiesischen Haus mit einem Kuß und einer Umarmung".

 Die großen Interpreten waren im neunzehnten Jahrhundert Maria Severa, eine Romatochter, im zwanzigsten Amália Rodriguez.

 In Coimbra wird Fado meist von Männern gesungen. Hier klingt er fröhlicher, ist witziger, manchmal frivol, lyrisch, oft intellektuell. Es ist häufig ein Wechselgesang, in dem ein Stichwort aufgenommen und von anderen Fadistas variiert wird. Guitarre und portugiesische Laute, eine Art Mandoline, begleiten den Gesang.

 Gerade erzählt ein Fado eine der vielen Geschichten aus der großen Geschichte des Landes. Don Sebastião, der geliebten König, setzte vor 400 Jahren mit vielen Karavellen nach Afrika über. Die Ladung der Schiffe bestand aus 18.000 tapferen Kriegern, der Blüte der Nation, aber auch aus Musikanten und Tausenden von Stricken und Guitarren, um die Mauren zu fesseln und dann durch Musik zu erfreuen und zum rechten Glauben zu bekehren. Kaum hatte die Armee afrikanischen Boden betreten, wurde sie schon von einem feindlichen Reiterheer vernichtend geschlagen. Der König, der letzte aus dem Hause Aviz, blieb verschollen. Irgendwo im Inneren Afrikas soll er ein paradiesisches christliches Königreich gegründet haben. Wie unser Barbarossa lebt er im Bewußtsein des Volkes weiter. Mit ihm starb die Dynastie aus und das Land wurde von den Spaniern unterworfen. Wenn er eines Tages, eines Jahres aufersteht, soll eine Zeit des Glücks und Reichtums für das ganze Reich beginnen.

 Nach dem romantischen mitternächtlichen Serenaden-Auftakt werden in der Festwoche Konzerte portugiesischer und ausländischer Orchester von Klassik bis Jazz geboten, ein festlicher Umzug mit Blumenwagen, Theaterabende, Bälle verschiedener Fakultäten, Sportfeste und vieles mehr. Sogar ein Preis für funkgesteuerte Modell-Rennwagen wird ausgetragen. Viel beklatscht wird neben den jugendlichen Musikgruppen eine Altherren-Mannschaft aus La Coruña, die nicht nur hervorragend instrumental musiziert und Tunas singt, sondern auch beachtliche akrobatische Darbietungen bietet - je nachdem in Sonne oder strömendem Regen.

 Portugal ist ein Land voller Geschichten, voller Klang und Farbe. Gedanken wandern von den Fadoklängen in die Vergangenheit. Im siebten Jahrhundert trugen die Araber das grüne Banner des Islam nach einem beispiellosen Siegeszug in kaum hundert Jahren von Mekka bis nach Iberien. Das Emirat, später Kalifat al-Andalus "im Westen" mit der Hauptstadt Cordoba umfaßte praktisch die ganze Halbinsel, all das, was heute Spanien und Portugal ist. Christen und Juden hatten Religionsfreiheit. Die Araber brachten dem Land (und ganz Europa) wesentliche Erkenntnisse in Wissenschaft (Astrologie, Medizin, Navigation, Mathematik, Geographie) und Kunst (Architektur, Dekoration, Gesang, instrumentale Musik). Terrassenanbau, Plantagenwirtschaft, künstliche Bewässerung durch Schöpfräder ließen die Landwirtschaft erblühen mit Reis, Feigen, Mandeln und Zitrusfrüchten. Es war einer der großen Augenblicke menschlicher Kultur. Er dauerte für Teile der Halbinsel fast achthundert Jahre.

 Ein Stadtrundgang durch Coimbra.zeigt Geschichte in Stein und Gold, herrliche Architektur aus vielen Stilperioden von dem römischen Criptoportico des staatlichen Museums durch alle guten und schlechten Zeiten bis zum modernen "Portugal der Kleinen", einer Miniaturstadt mit den Monumenten und typischen Häusern des ganzen Landes und der früheren Kolonien. Die traditionsreiche Universität von 1290 im ehemaligen Königspalast, der Burg, überragt die Altstadt mit ihren verwinkelten Sträßchen und Gassen. Die 250 Jahre alte Bibliotheca Joanina, ein zauberhaftes Barockensemble über zwei Stockwerke, hat 300.000 Bände mit Werken von unschätzbarem Wert über Rechtswissenschaft, Theologie und Philosophie. Von hier schweift der Blick weit ins Land, das vom Mondego durchflossen wird, dem einzigen Fluß, der in Portugal entspringt und mündet.

 Auf der anderen Seite liegen die Ruinen des gotischen Klosters Santa Clara-a-Velha. Sie sind teilweise im an dieser Stelle besonders weichen Sand versunken. Daneben die Quinta das Lagrimas, ein Palast aus dem 19. Jahrhundert. Hier spielte die Geschichte einer großen Liebe. Prinz Pedro liebte Doña Inês, eine Hofdame seiner verstorbenen ersten Gattin. Sein Vater ließ sie aus Gründen der Staatsraison im Garten der Tränen ermorden, um einen Einfluß ihrer spanischen Familie auf seinen Sohn auszuschließen. Pedro rächte die Geliebte fürchterlich und krönte sie posthum zu seiner Königin. Die beiden Särge stehen sich im Zisterzienserkloster von Alcobaça, dem größten Sakralbau Portugals, Fuß zu Fuß gegenüber, damit die Liebenden sich bei der Auferstehung am jüngsten Tag sofort in die Augen blicken können.

 Abends spielen überall Studentengruppen. Eine singt: "Du fühlst, daß ein Lebensabschnitt zu Ende ging, der Frühling einer schlafenden Blume, etwas Unwiederbringliches, das Du gesehen hast, das wie ein Fluß, wie ein Lied in Deinem Leben war. - In Deinem Inneren behältst Du den schmerzlichen Klang einer Ballade, Erinnerungen der Vergangenheit, den Schlag der Glocke von Coimbra. - Schwarzer Mantel der Sehnsucht. Im Augenblick des Abschieds nehme ich für das ganze Leben die Geheimnisse der Stadt mit. - Du weißt, daß ein Bild des Abschieds ein Feuer ist, das sich langsam in die Seele brennt. Und wenn Du langsam Deine Augen schließt, fühlst Du die Hoffnung, eines Tages wiederzukehren."

 Vor den Toren Coimbras liegt die guterhaltene römische Ruinenstadt Conímbriga aus dem ersten Jahrhundert, vormals eine keltische Siedlung. Prächtige Häuser, schöne Gärten mit Brunnen, ein Forum, ein superbes Aquädukt, das stündlich 18.000 qm Wasser in die Stadt brachte, und die schönsten Mosaiken des Landes. Sie zeigen die Bedeutung des Platzes zu Zeiten des Augustus und der Flavier. Offenbar eine blühende Stadt, bis im vierten Jahrhundert eine Verteidigungsmauer in aller Eile quer durch das Zentrum gebaut wurde. Diese Verteidigungslinie hielt allerdings nur für drei Jahre die endgültige Zerstörung auf. Das kleine Museum vor Ort hat eine Sammlung von Schmuck, medizinischen Geräten, Luxusgegenständen, Waffen, landwirtschaftlichen Gerätschaften, Spielsachen, Öllampen, deren sich manche Weltstadt-Sammlung nicht zu schämen brauchte.

 Ein Tagesausflug führt nach Tomar, dessen majestätische Ritterburg an den tragischen Orden der Templer erinnert. Von der Gründung durch französische Kreuzritter 1118 bei der Tempelruine zu Jerusalem bis zur Erlangung unermeßlichen Reichtums und unvorstellbarer Macht durch Bankiergeschäfte, Kenntnisse von Mysterien des Orients, Privilegien, vertrauensvolle Zusammenarbeit seiner Ritter in 9000 Komptureien, schließlich seiner Zerschlagung war er kaum zweihundert Jahre lang Staat im Staat. Die portugiesischen Templer wurden in den Christusritterorden überführt und entgingen so den grausamen Folterungen und Ermordungen ihrer französischen Ordensbrüder unter König Philipp dem Schönen.

 In der Stadtmitte von Tomar liegt die Noria, ein großes Bewässerungsrad der Araber. Die Strömung treibt es zu einer langsamen Bewegung an. Dabei füllen sich die am Rand befestigten Tonkrüge und entleeren sich im Scheitel. Die Fahrt führt weiter an der Wallfahrtskirche von Fatima vorbei. Nächster Halt ist in Batalha. Der Name erinnert an die Schlacht von Aljubarrota/Alcobaça 1385, in der Portugal den entscheidenden Sieg über die Spanier errang und damit die Unabhängigkeit des Landes sicherte. Nach der Schlacht gelobte König Joao I. als Dank für den Sieg, an der Stelle ein Kloster zu bauen. Dieses hat, so sagt man, den schönsten Kreuzgang der Welt.

 Tagesausklang im malerischen Fischerstädtchen Nazaré. Es verdankt seinen Namen der Heiligen Jungfrau von Nazareth, die hier einen Jäger vor dem Sturz in den Abgrund des Atlantiks rettete. Die Einwohner tragen noch ihre alten Trachten: die Männer Fischermützen und die Frauen weite Röcke mit sieben Unterröcken.

 Zurück in Coimbra verbringe ich einen Abend im Studentenlokal Diligencia. Wiederum wird schönster Fado gesungen. Einer handelt von dem größten portugiesischen Dichter Luis de Camões, der hier in Coimbra studierte. Nach idyllischer Zeit hatte er ein bewegtes Leben. Wegen einer romantischen Affaire mit einer Hofdame wurde er nach Nordafrika verbannt. Dort verlor er ein Auge. Nach seiner Rückkehr geriet er in einen Streit mit einem hohen Beamten. Zur Strafe mußte er zuerst ins Gefängnis, dann in die Verbannung nach Goa, die portugiesische Kolonie. Dort geriet er mit den Machthabern in Konflikt und wurde auf die Molukken verbannt. Als er endlich in die Heimat zurückkam, starb er in einer Pestepidemie und wurde in einem Massengrab bestattet. Sein großes Werk Os Lusíadas machte ihn unsterblich. Das Nationalepos beschreibt die Entdeckungsreisen Vasco da Gamas.

 Am nächsten Tag findet ein Stierkampf statt. In Portugal wird der Stier - im Gegensatz zur spanischen corrida - nicht getötet, sondern mit bloßen Händen bezwungen. Dadurch fehlt der ganzen Angelegenheit das blutrünstige Macho-Gehabe, und bei aller Bewunderung für die Matadore gibt es auch viel Spaß und Hallo, wenn gelegentlich mal ein unbesiegter Stier aus der Arena trottet.

 Der Patio da Inquisicão erinnert noch an das Wüten der Inquisition mit Prozessen gegen Ketzer, an Autodafés, Verbrennungen auf dem Scheiterhaufen. Die nahe Kirche Santa Cruz ist in besonders gelungenem manuelinischen Stil erbaut, Spitzenkunst in Stein. Manuelinik ist ein verspielt-dekorativer Baustil, der nur in Portugal vorkommt. Er entwickelte sich aus gotischen Grundformen im "goldenen Zeitalter" König Manuels des "Glücklichen", in dessen Herrschaftszeit portugiesische Seefahrer die halbe damals bekannte Welt entdeckten und kolonisierten. Der Stil spiegelt die in Übersee gefundenen Formen und den dort erworbenen Reichtum wieder und schwelgt in maurischen und indischen Dekorationen. Auch Elemente aus der Seefahrt wie Anker, Taue, Fische, Seesterne verzieren zahlreiche Portale, Fassaden und Gewölbe. In der Kirche sind auch besonders erlesene historische blau-weiße Fliesen zu bewundern, "Azulejos" (vom arabischen al-zuleiq = kleiner, polierter Stein), die seit Jahrhunderten die große Mode in Portugal als preiswertes, schönes und beständiges Dekorationsmaterial sind. Ganze Wände in Kirchen, Bahnhöfen, Amtsräumen, Privathäusern geben in feinster Zeichnung Ereignisse der Geschichte oder Szenen des Alltagslebens wieder. Die Kachelkunst stammt wie so vieles in Europa von den Mauren. Bis heute werden in einigen Fabriken die Fliesen noch künstlerisch von Hand bemalt.

 Höhepunkt des Festes ist schließlich ein großer Umzug mit fast hundert Festwagen, wie wir sie aus unserem Karneval kennen. Was mir besonders dabei gefallen hat? Wie friedlich, freundlich, liebenswürdig die Menschen dabei und danach trotz der Hektoliter genossenen Portweins und Sagres Bieres blieben - gerade ein Bißchen aus ihrer Saudade aufgetaut. Ein harmonischer Ausklang! Übrigens spielt hier die MacDonaldisierung des Tourismus noch keine Rolle. Das Ganze ist - noch - ein Geheimtip für Portugal-Liebhaber.

 Am letzten Tag hat auch hier der Fado wieder Recht: "Coimbra tem mais encanto na hora da despedida. - Coimbra zeigt seinen größten Charme in der Stunde des Abschieds."

Tips zur Tour:

Anreise: Die Lufthansa fliegt von Frankfurt nach Porto, dem nächstgelegenen Flughafen. Spartarif 420 € bei Buchung mindestens 7 Tage vor Abflug und mindestens einer Nacht von Samstag auf Sonntag in Portugal.

TAP-Air Portugal fliegt von mehreren deutschen Städten nach Porto. "Portugal plus"-Preis ab 290 € return je nach Reisedatum. Telefonische Auskunft zum Nulltarif 0130-110708.

Ähnliches gilt für die Portugália. Preis 300 €. Auskunft Tel. 0221-9201070 oder 2582806.

Die Deutsche Touring bietet Europabus-Reisen nach Porto für ca. 120 €, hin und zurück 195 €, Ticket gültig 6 Monate. Die einfache Fahrt dauert etwa 28 Stunden. Info Tel. 069-7903281.

Die Bahnfahrt dauert ca. 30 Stunden. Der angenehme französische Zug ab Paris hat Liegewagen.

Kleidung: Hier macht nicht nur der April, was er will. Am Atlantik gilt das auch für den Mai. Wärmere Kleidung und Regenschutz sind zu empfehlen.

Auskünfte: Portugiesisches Touristik- und Handelsbüro, Schäfergasse 17, 60313 Frankfurt/Main, Tel. 069-290549.

Klaus G. Müller, 2002


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